Abseits vom Trubel, irgendwo im Nirgendwo des Atlasgebirges – zwischen staubigen Straßen, felsigen Wegen und einer Weite, die den Blick verlieren lässt – begann unsere Reise. Zwischen Mountainbiken und Wandern, zwischen den bunten Gassen von Marrakesch und den menschenleeren Tälern des Hohen Atlas bis hin zum höchsten Gipfel Marokkos.
Ursprünglich sollte es eine Skitourenreise werden. Doch zu wenig Schnee zwang uns zur Umplanung, aber öffnete gleichzeitig neue Wege. Wir ließen uns nicht aufhalten und flogen am 26. Februar 2024 von Mailand nach Marrakesch. Abends tauchten wir direkt in das bunte Treiben der Stadt ein: marokkanisches Streetfood am Djemaa el Fna, Musik, Schlangenbeschwörer, ein Trubel aus Gerüchen und Farben. Am nächsten Morgen machten wir uns auf zum Bike-Verleih. Ohne große Erwartungen kamen wir auf einen verlassen wirkenden Platz, wo sich hinter einer Garagentür eine Überraschung verbarg: neue, top-ausgestattete Mountainbikes. Der Startschuss für unser Abenteuer.
Mit dem Mountainbike durch Berberdörfer und Steinwüsten
Mit unseren Rädern auf dem Dach der Begleitfahrzeuge und unserem eigenen marokkanischen Koch ging es raus aus der Stadt. Der erste Tag der Tour begann gemütlich mit 25 Kilometern und 600 Höhenmetern. In Demnat fuhren wir vorbei an einer natürlichen Steinbrücke und beeindruckenden Tropfsteinhöhlen – ein erster Vorgeschmack auf Marokkos Landschaft. Nach der ersten Nacht im Berberhaus in Ait Ali n Itto starteten wir direkt von der Unterkunft. Durch den starken Regen vor unserer Ankunft in Marokko waren die Flüsse gut gefüllt, also wateten wir ein paar Mal mit den Bikes durch das eiskalte Wasser. Das Tal entlang bis ins kleine Berberdorf Talat n Tazart: Frauen wuschen mitten im Fluss bunte Kleidung, Kinder liefen uns staunend hinterher. Das erste Mal, dass ich Menschen sah, die so abgeschieden von der Zivilisation lebten. Es war kaum zu glauben, wie einfach das Leben in diesen kleinen Dörfern funktionierte.
Kurz nach dem Dorf wartete unser Koch bereits mit Tajine und Couscous, wahlweise mit Fleisch oder vegetarisch, auf uns. Nach der Mittagspause transportierten wir die Räder mit den Autos einen steilen Pass hinauf, weil die Sonne zu stark war und der Weg zu weit. Oben angekommen: ein atemberaubender Blick auf die schroffe Felslandschaft des Hohen Atlas und schneebedeckte Berggipfel in der Ferne. Danach ging es auf einer langen Abfahrt hinunter, begleitet von kühlem Wind, wenigen Autos und interessierten Blicken der Berber. 50 Kilometer und 1.200 Höhenmeter später erreichten wir bei Sonnenuntergang ein Hochplateau – still, weit, unvergesslich – bevor uns eine wilde Offroad-Fahrt im Begleitfahrzeug bis zu unserem Hotel „Awayou“ in Bou Tharar brachte.
Am vierten Reisetag starteten wir direkt vom Hotel mit den Bikes durch das Rosental von Kelâa M’Gouna. Kurz vor dem Dades-Tal trafen wir mitten im Nirgendwo auf einen Nomaden mit seinen Kamelen, ein Bild wie aus einer anderen Zeit. Nach der Mittagspause, wie immer gemütlich auf marokkanischen Decken, fuhren wir mit dem Auto hinauf auf den 2.279 Meter hohen Tazazert-Pass. Von dort radelten wir bergab ins Tal, vorbei an den spektakulären Felsformationen von Bab n Ali. Nach 82 Kilometern und 644 Höhenmetern in den Beinen kamen wir in der Oasenstadt N’Kob an, wo wir durch lehmfarbene Gassen radelten und bald bei unserer Unterkunft ankamen.
Letzter Tag am Bike, erster Tag in den Bergschuhen
Tag fünf: Mit dem Bike entlang der Straße bis ins kleine Dorf Taftechna. Kinder zeigten uns stolz ihre Lehmhäuser. Weiter ging es durch das Draa-Tal, vorbei an den grünen Oasen und den trockenen, auffallenden Steinformationen, bis hin zu unserer Unterkunft in Zagora. Die letzte Etappe auf dem Rad, bevor es zurück in die Berge ging.
Zu Fuß auf den höchsten Gipfel Nordafrikas
Am nächsten Tag ging es weiter ins Bergdorf Imlil auf 1.750 Metern Höhe. Eine ganz andere Welt, andere Wohnarten, andere Landschaft. Wir gaben die Mountainbikes ab und begannen nach einer Nacht in Ilmil den Aufstieg Richtung Toubkal. Mit der Gruppe wanderten wir gemütlich sieben Stunden und 1.500 Höhenmeter hinauf bis zum Basislager „Refuge du Toubkal“. Unterwegs pausierten wir, tranken Tee, frisch gepressten Orangensaft, begleitet von Eseln, die unser Gepäck trugen. Die Nacht auf der Berghütte, die noch im Schnee lag, war kurz und kalt. Um 6:00 Uhr früh ging es los – 1.100 Höhenmeter bis zum Gipfel des Jbel Toubkal auf 4.167 Metern.
Die Aussicht war beeindruckend. Weit, rau, still. Die felsige Landschaft erinnerte an unsere Berge, nur das Gipfelkreuz war anders, wie bei uns. Ein Moment der Ruhe, des Ankommens. Nach einer kurzen Rast auf dem höchsten Punkt Marokkos ging es wieder hinab zur Hütte, wo wir zu Mittag aßen, und dann zurück nach Imlil, wo wir eine letzte Nacht in den Bergen blieben.
Abschied in Marrakesch
Der letzte Tag führte uns zurück nach Marrakesch, dorthin, wo alles begonnen hatte. Zurück aus den ruhigen, eindrucksvollen Bergen, der kargen Schönheit des Atlasgebirges, den roten Tönen von Sand und Lehmhäusern, zurück aus einem einfachen, entschleunigten Leben in die laute, lebendige Stadt.
Und so endete unsere Reise, wie sie begonnen hatte: überraschend, intensiv und ein kleines bisschen anders, als erwartet.
Text & Fotos: Christina Treichl